In den verschiedenen Kirchen ist der Umgang mit Maria, der Mutter Jesu, bis heute äußerst zwiespältig. Einerseits ist er kultisch überhöht, andererseits unsicher und vernachlässigt. Im Kern ist Maria jedoch das Gleichnis für die vollkommene Hingabe und leidende Liebe einer Mutter.
Mit Maria begegnet uns eine Frau, in der uns nicht nur die glückliche Mutterliebe, sondern auch die leidende Gottesliebe offenbar wurden. Die werdende Mutter sprach im sog. Lobpreis (Magnificat):
"Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währet für und für bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm (er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten, Jerusalemer Bibel), und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt der mit Gütern, und lässt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unseren Vätern, Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit "(Luk.1,47-55).
Simon, ein gerechter Mann, nahm das Kind Jesus in den Arm, sprach einen Segen und prophezeite: „Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden. Dir (Maria) selbst aber wird ein Schwert (Speer) durch die Seele dringen“ (Luk. 2, 33-35).
Eine Mutter erlebte, wie ihr Sohn, aufgrund seiner Verkündigung von der Gerechtigkeit des Reiches Gottes, angefeindet und verfolgt wurde. Jede Mutter, und jeder Vater, können sich vorstellen, dass dies zu unvermeidlichen Ängsten und Sorgen geführt haben muss. Liebend und leidend hat sie den kurzen Lebensweg Jesu begleitet.
Aber diese Liebe sollte durch dieses unvermeidliche Leid nicht der Verzweiflung ausgeliefert werden. Maria hat ihre Herausforderung des Lebens demütig angenommen. Schon früh wurde sie damit konfrontiert, den besonderen Weg des Sohnes anzunehmen. So, z.B. als Jesus bereits mit 12 Jahren im Tempel mit den Gelehrten sprach. Zwölf Jahre, ein Alter, bei dem alle Eltern herausgefordert werden, ihre Kinder allmählich loszulassen, und dennoch ihre Liebe zu bewahren.
Maria hat schließlich auf eine, für eine Mutter, schmerzhafteste Weise einen Sohn verloren, aber viele „Kinder ("Kinder Gottes") gewonnen. Die Mutterliebe, vereint mit der Liebe zu Gott, kehrte den Ausspruch "Blut ist dicker als Wasser" um. Denn Jesus hat sie zur „Verwandtschaft stiftenden Liebe“ aufgefordert, als er, am Kreuz, zu ihr mit Blick auf Johannes sagte:“Frau, siehe dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter!“
Tersteegen zur Verwandschaft stiftenden Liebe Jesu
Gleichnishaft wurde sie geistlich so zur Mutter aller und zum Vorbild allen, die ihrem Sohn Jesus Christus nachfolgen, und sie darum ehren und selig preisen. Das wurde prophetisch
im o. g. Lobpreis ausgedrückt: “Von nun an werden selig preisen mich alle
Kindeskinder“.
Ehren und
selig preisen, muss nicht anbeten heißen. Dafür gibt es keinen Hinweis in der Schrift. Schwer vorzustellen, dass Jesus Johannes geboten hat,
anstatt Maria als seine Mutter anzunehmen und zu ehren,
sie anzubeten? Lassen wir außerdem die Gelehrten streiten, ob Maria als Jungfrau, Jesus in Bethlehem geboren hat, oder ob, wie es andere
Auslegungen deuten, von ihr als „Junge Frau“ berichtet wurde. Für die einen mag die Jungfräulichkeit der Maria eine berechnende Überhöhung (z.B. f. Reinheit) gewesen sein, während die anderen die Empfängnis der Maria dem Geist Gottes selbstverständlich zutrauen. Die
vorausschauende Gewissheit über „die Frucht ihres Leibes“, Jesus, veranlasste sie zu dem prophetischen Lobgesang, der sich sichtbar erfüllt hat. Das ist Grund genug zu erkennen und zu würdigen, dass das Leben der Maria in Reinheit und Hingabe sie mit
der Gnade Gottes und bleibendem Segen erfüllt hat.
Im Oktober 2024 habe ich den Text ergänzt:
Im Geiste kann diese Maria auch da sein, um unserem inneren Kind die Mutterliebe zu geben, die etwa verloren gegangen ist, bzw. nicht erlebt werden konnte. Liebe leidet, aber sie kann auch heilen!
In dem inspirierenden Buch „Werk/Zeuge“ von Martin Schleske, lässt er uns in sein Innerstes blicken, als er betete: „ Ach ja, Jesus. – angesichts dieser unglaublichen Mutter, Maria, die du hattest, wundert mich nicht was für ein Mensch du sein konntest und warst! Bei mir war es anders….. – und ich spürte ein Lächeln und ein ernstes Wort: „Martin, sie ist auch deine Mutter“! Ich wusste nicht, was das hieß oder was ich damit anfangen sollte. Eine Marienbeziehung war mir recht fremd.
Einige Wochen später, während einer stillen Gebetszeit, sah ich, wie Maria auf mich zukam und mich bat, ihr das kleinste Kind in mir in ihre Arme zu geben. Ich war sehr aufgewühlt und tat es. Ich ließ es zu, denn ich merkte, dass die Seele nun eine Mutterliebe bekommen sollte, die sie nie kannte. Es fühlte sich wie eine Operation an, die in die innersten Tiefen ging, wohl eine Stunde lang. Dann gab sie mir das Kind wieder zurück… ich nahm es auf" (Werk/Zeuge S 506, Echter-Verlag).
Diese Seite für den 27. Oktober im Buch ist betitelt: „ Das kleine Kind in mir“ und ergänzt mit dem Psalm 131,2:
Ich ließ meine Seele still und ruhig werden, wie ein kleines Kind bei seiner Mutter, wie ein kleines Kind, so ist meine Seele in mir.
Bild v. Williard Stone/Oklahoma. Ihm fehlten drei Finger. Liebe und Verletzbarkeit der Liebe gehören zusammen.