Gleichnisse und Spiritualität
Gleichnisse und Spiritualität
Arbeiter im Weinberg
Arbeiter im Weinberg

PRACTICE OF THE PRESENCE OF
GOD THE BEST RULE OF A HOLY LIFE
Conversations and Letters by Brother Lawrence

Tageslauf, Jahreslauf und den Lauf der Seele, die sich öffnet für die barmherzige Liebe Gottes, beschreibt Tersteegen in seinen Liedern.

Beispiele: Weihnachten,  Morgenlied, Gottes Gegenwart, Ermunterung der Pilger,

Gottes Güte. 

 

dieser Link führt zu einem der bekanntesten

Lieder " Ich bete an die Macht der Liebe"

https://www.youtube.com/watch?v=Ol98zhJXa9o

Wie wir lernen, nicht aus dem falschen, sondern aus dem wahren Selbst zu leben, zeigt der Psychiater Dr. Checkley am Beispiel von Bruder Lorenz.

Das Tersteegenhaus in Mülheim, war die ehemalige Wirkungsstätte von Gerhard Tersteegen 

http://heimatmuseum-tersteegenhaus.de/

Briefe lesen und (mit)teilen

So wie wir materielle Güter teilen können, läßt sich dies auch mit geistlichen „Perlen“, wie es die Briefe Tersteegens sind, machen. Den Anstoß dazu finden wir in einem Brief Tersteegen`s im  5.Teil, Brief Nr. 59, der unten zitiert wird (Bädeker, Essen 1836).

Der erbauliche Briefwechsel von Gerhard Tersteegen ist umfangreich und vielschichtig, was die Themen angeht.  Deshalb werden auf dieser Seite immer wieder neue Beispiele zu finden sein.

Diese Beispiele können wie „Perlen“, die den Reichtum der Liebe Gottes zeigen, weitergegeben werden. Möge der Leser immer das finden, was seine Seele erbaut, tröstet oder stärkt.

 

Brief Nr. 59 /Teil V

 

"In unserm gesegneten Heilande Jesus sehr werter und herzlich geliebter Bruder!

Deinen Brief habe ich richtig erhalten und mich daraus sehr erquickt. Ich bin seitdem so beschäftigt gewesen, daß ich erst heute dazu kommen konnte, Dir mit der Feder zu antworten, was ich indessen oft im Geist getan habe. Sehr dankbar bin ich dem Herrn, dessen gütige Hand es so geordnet hat, daß wir einander nicht bloß in dieser fremden Welt getroffen haben, sondern der uns auch noch so viel besondere Vereinigung in dem Geiste gegeben hat. Die Gemeinschaft der Heiligen (ach, daß ich der Geringste von ihnen wäre!) ist ein Geheimnis der Gottseligkeit und ein größerer Schatz, als man gewöhnlich denkt und glaubt. Es ist eine Gemeinschaft in Jesu Christo, als dem Haupte, aus dessen Fülle jedes Glied nach seinem Maße Gnade über Gnade durch den Glauben empfängt, und diese durch die Adern der herzlichen Liebe und Vereinigung in die andern Glieder wieder ausgießt zur Verherrlichung ihres Ursprungs. Wer am innigsten und beständigsten in Jesu bleibt, wird am meisten empfangen, und durch die Liebe teilen wir das Gute, was Andere empfangen, so wie wir auch durch die Liebe Anderen das mitteilen, was uns gegeben wird. Hier sind alle Güter gemeinschaftlich; das Eigene ist ausgeschlossen, und wer das Erhaltene sich allein zueignet, der verliert sicher was er hat, und verschließt sein Herz für jede neue Gabe. Je entfernter das Eigene bleibt, desto mehr empfängt man und desto reichlicher wird man überfließen. Welch festhaltendes Wesen haben wir nicht von Natur! Aber die göttliche Liebe bestreitet diese Eigenliebe und rottet sie immer mehr aus. Sie macht uns ohne Kunst und Künstelei zu einem Herz und einer Seele mit allen Kindern Gottes. Der Herr Jesus hat so zu sagen die Glieder seines menschliches Körpers voneinander reißen lassen, um die seines geistigen Körpers zu vereinigen, damit sie alle eins sein möchten, wie er und der Vater eins sind. Herr, wann werden wir die ganze Erfüllung dieses deines göttlichen Gebetes sehen! Doch die Gemeinschaft der Heiligen ist nicht allein eine Gemeinschaft des Geistes, weil sie aus dem Geiste der Liebe Jesu Christi fließt, sondern auch, weil man sehr gesammelt im Geiste vor dem Herrn leben muß, wenn man ihr köstlichen Früchte schmecken will.
Man fällt oft mit Herz und Sinnen auf verschiedene Art und Weise zu sehr auf das Äußerliche, man gibt dem Verstande zu viel und dem Herzen zu wenig. Daher kommt es, daß man nicht für jeden gleichmäßig die Ebbe und Flut der Liebe und Vereinigung empfindet. Wenn die Seelen nur alle Umwege vermeiden und nach ihren Kräften dem Einen, das Not tut, mit Ernst und aufrichtig nachstreben, nämlich, sich selbst abzusterben und dem Herrn durch Geist und Gnade zu leben, -  gleich schmelzen die Herzen zusammen.  Es ist wahr, man findet heutzutage  unter der Menge der Berufenen wenige solcher Herzenskinder, aber umso viel inniger muß auch die gegenseite Liebe in dem Herrn bei denen sein, die einander mit solchen Herzen begegnen, und wäre es auch nur aus der Ferne".   (es folgen noch wenige Sätze des Trostes wegen der körperlichen Beschwerden des Adressaten)

"Ich grüße und umarme Dich herzlich im Geiste der Liebe. Der Herr sei innig mit Deinem Geiste! Ich bleibe Dein treu verbundener Bruder". G. Tersteegen.

 

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Nr. 90 .... Hingabe an Gott, ist das wahre Geheimnis des inwendigen Lebens

In der Gnade Jesu geliebter Bruder!

Beide Brieflein, vom 25ten Jan. und 22ten Mai dieses Jahres, habe wohl erhalten. Die innige Neigung zum verborgenen Leben mit Christo in Gott macht, daß ich jederzeit einige Abneigung gehabt habe, in mehr äußere Bekanntschaft und Briefwechsel zu geraten. Gott fügt es aber vielfältig wider meine Neigung, ich kann und will Seiner Hand in keinem widerstehen.

Jetzt finde ich Freiheit, lieber Bruder, ihm einfältig zu bezeugen, daß ich ihn herzlich liebe und öfters grüße im Geist der Liebe Jesu, und daß mir seine Brieflein angenehm und erquicklich gewesen sind. Ich freue mich sehr, daß Gott ihm einen Geschmack an dem Zug zur Einkehr und zum inwendigen Leben geschenkt hat. In diesem köstlichen Leben berufen zu sein, ist eine große, aber auch unverdiente Gnade Gottes, welche mit viel Treue beantwortet werden muss. Gott lädt uns ein zu Seiner Liebesgemeinschaft. Er will unseren Geist Ihm zur Wohnung und Tempel bereiten. Da sollen wir im inneren Heiligtum schauen Seine schönen Gottesdienste. Ach, welche Barmherzigkeit! Sind dann die Ausflüsse der Liebe Gottes gegen unsere unwürdige Seelen so überschwänglich, so sollen wir, geliebter Bruder, dann auch recht milde sein, und uns in keinem Stück diesem ewigen Gut vorenthalten, da es uns ganz und allein für sich haben will.  Ganz für Gott sein, ist das wahre Geheimnis des inwendigen oder mystischen Lebens, wovon sich die Leute so seltsame und fürchterliche Bilder machen. Es ist nichts einfältiger, sicherer, lieblicher und fruchtbarer als dieses Herzensleben, welches nicht durch Lesen und Kopfanstrengungen, sondern durch Sterben und Lieben gründlich erkannt und erfahren wird. Es ist also mehr das Werk des Geistes Jesu in uns, als unser eigenes  Werk. Auf die Wirkungen und Züge dieses Geistes acht haben, denselben contenieren (in ihm bleiben) und Ihm folgen, macht uns zu eingekehrten, geistlichen Menschen. Dieser Geist der Liebe, wann er wohl gewartet wird, flößt der Seele den Sinn Jesu Christi ein und bildet sie nach dessen Gestalt, so unvermerkt, als fast ein Kind im Mutterleibe gebildet wird. Er führt sie immer tiefer ein in die Verlassung aller Dinge und ihrer selbst, und in die unbedingte Überlassung an Gott. Er fordert dieses nicht mit gesetzlicher Strenge, sondern führet die folgsame Seele selbst hinein, und gibt ihr natürliche Neigungen, daß sie es auch gerne will, trotz ihrer Selbstheit, und so dem Lamme folget, wo es mit ihr hingehet.

Je mehr wir innig, aufgeräumt und in friedsamer Andacht uns befinden, desto besser und lauterer wandeln wir. Die besondere Übung des inwendigen Gebets oder Einkehr dienet hauptsächlich dazu, daß wir diesem zarten Führer kindlich aufwarten und Er unser recht mächtig werde. Da gilt kein Selbstmachen oder Formen, es hindert nur; man muß ein formloser, armer Ton sein in der Hand des Töpfers. Diese Liebeshand formet uns nach ihrer Weise. Sie führt ein in eine ungekünstelte Einfalt und süße Niedrigkeit, sie macht sanft und willenlos, sie lehrt allen eigenen Absichten entsinken und Gott lauter zu meinen, sie setzt uns in eine gründliche Abgeschiedenheit von allem fremden und eigenen Leben, da Gott der alleinige und ganze Schatz der Seele wird, und sich in ihr verkläret nach Seinem Belieben. O wohl denen, die also ihr eigenen Haus immer mehr vergessen und im Hause Gottes wohnen, die loben Ihn immerdar!

Dies sei dann hinfort unser Ganzes, lieber Bruder, blind und bloß dem zu folgen, der uns berufen hat mit einem so heiligen Ruf! Ich bin gewiß, daß Gott durch diesen Weg will gesucht, und also im Geist und Wahrheit will gedient werden, ob ich wohl selbst elend genug bin. Das wahre Inwendige Leben ist keine sonderliche oder neue Sache; es ist der uralte und wahre Gottesdienst, das christliche Leben in seiner Schönheit und eigentlichen Gestalt. Recht innige Seelen machen keine besondere Sekte, wenn ein jeder der Lehre und dem Leben Jesu durch dessen Geist folget, so würden ohne Zweifel alle innig, und die Welt voller Mystiker werden. Ich weiß nicht, warum ich dieses schreibe, da der liebe Bruder schon genugsame Gewißheit von dem Herrn in diesem Wege bekommen hat. Lasset uns nur bei dem Herrn bleiben und uns Ihm inniger lassen, denn Er ist sehr gut, auch unter allen Proben, denen, die auf Ihn warten. Er ist unserem Geiste ewig genug.

Hat der Herr durch mein gebrechliches Schreiben seiner Seele etwas zukommen lassen, so sei Gott allein die Ehre dafür, der Seinen Hungrigen Speise gibt, wenn Er gleich aus Steinen Bot machen sollte. Ist es Gottes Wille, dass wir einander dem Angesichte nach noch sehen, so wird mir's lieb sein; sonst wollen wir einander in dem Herzen Jesu bescheiden, und uns daselbst im Geiste grüßen, küssen und segnen in dem Namen des, der uns geliebet hat. Opfere Er mich dieser Liebesmajestät auf, nach der Gnade, die sie selbst geben wird: ich tue solches auch aus ganzem Herzen. Jesus segne dich, mein lieber Bruder! Er mache dich nach Seinem Herzen, worin wir auch abwesend verbunden bleiben. Ich verbleibe durch des Herrn Gnade     

Dein  innigst-geneigter Mitbruder                             Mülheim, den 9. Dez. 1735.

 

Teil V Nr. 51, ... in der Heiligen Schrift ist alles zu finden - Gott ist Geist...(20170205).

Lieber Freund!

Mit dieser guten Gelegenheit kann ich nicht unterlassen, Dich durch einige Worte zu begrüßen und Dir zu sagen, daß mir Dein liebevoller Brief sehr angenehm war. Es ist alles nach der Wahrheit, was Dir der Herr durch seine Gnade von dem inneren Weg in der Schrift vergönnt zu begreifen. Dieses göttliche Buch ist voll von dieser verborgenen Weisheit; Jeder sieht seinen Inhalt an, je nachdem sein Augen sind; es enthält Milch für Kinder und nahrhafte Speise für Erwachsene; es erteilt Jedem die Lehren, die ihm nach seinem Stande dienen, für Dich, lieber Freund, und für mich. Es unterrichtet uns auf allen Seiten in dem Einen, das allein Not tut, nämlich: mit Herz und Sinnen aus allen Zerstreuungen zurückzukehren in uns selbst, und zum Herrn in uns, zur wahren Heiligung und Seligmachung unserer Seelen. Gott ist ein Geist; sollen wir mit ihm in Wahrheit vereinigt werden und ihm auf die Art dienen, die ihm gebührt, dann müssen wir uns ihm da nähern, wo er ist, nämlich im Geiste; wir müssen trachten, ihm einigermaßen ähnlich zu werden, das heißt: wir müssen geistig werden. Da dieses  nun nicht anders geschehen kann, als durch gründliche Verleugnung und gänzliches Loslassen von Allem, was irdisch, fleischlich, sinnlich und bildlich ist; so lasse es dann, bester Freund, unsere große und einzige Übung sein, uns durch des Herrn Gnade zu entwöhnen von diesem Allen und von allem Eigenen, und einzugehen in eine ganz abgeschiedene, einfältige und innige Gemütsstimmung, aufmerkend und erwartend des Herrn Gnade und Gegenwart im Grunde unseres Herzens. Ich sage unseres Herzens und nicht in unsern Sinnen oder unserem Kopfe, um damit anzudeuten, wie sehr wir uns hüten müssen, nicht bei dem schönsten Lichte, was uns Gott vom Inwendigen gibt, stehen zu bleiben, oder uns zu viel darauf einzubilden; sondern uns wie unerfahrene, einfältige Kindlein immer mehr nach ihm zu wenden und in ihm zu bleiben durch Glauben und innige Liebe, wie Dir die Erfahrung wird gelehrt haben und Dich noch belehrt.
Ich will hiermit abbrechen, Dich von Herzen dem Herrn vortragend und ihn bittend, sein Werk in Dir fortzusetzen und zu vollbringen.
Ich empfehle auch mich Deinen andächtigen Gebeten, der ich nach herzlichem Gruß bleibe

Dein Dich liebender Freund und Bruder
 

 

Teil V Nr. 1, ..  die fortwährende Übung - der kürzeste Weg/  20151121

Das innere Leben, oder die fortwährende Übung des Wendens nach Gott in unserem Herzen, ist der Kern des wahren Christentums und der kürzeste Weg zu Gott. Wie man dazu gelangt. Die heilige Schrift ist für diejenigen, denen die Augen geöffnet sind, voll von diesem Wege.

Geliebter Bruder!
Deinen lieben Brief habe ich wohl erhalten. Es erquickte mich sehr, von zwei, mir bisher unbekannten Freunden zu gleicher Zeit Schreiben zu bekommen, in denen ich einige Ausdrücke von der Wahrheit fand, nach der mein ganzes Herz, durch Gottes Gnade, trachtet, nämlich: von dem schönen Weg des inneren Lebens, bestehend in einem liebenden Einkehren und verborgenen Bleiben in dem Geist unsers Gemüts, um darin die göttliche Majestät im dunkeln Heiligtum zu beschauen und im Geist der Wahrheit anzubeten. Diese innere Übung ist gewiß die Seele des wahren Christentums, und die Quelle aller Heiligkeit und Tugend, so wie auch der kurze, gebahnte und einzige Weg zu einem gründlichen und festen Frieden unseres Geistes; indem er uns zu Gott führt, und mit Gott, der das höchste Gut, das wahre Vaterland und die einzige Ruhestätte unseres ewigen Geistes ist, vereinigt. Im Grunde unserer Seele, in der stillen Ewigkeit ist das unermessliche Land der Freiheit zu finden, zu welchem der edelste Teil unseres Wesens gehört. Aber freilich kann niemand wahrhaft dahin gelangen durch menschliche Mittel und eigene Anstrengungen, die unsern Geist nur umdüstern (verdunkeln) und in die Enge treiben, und ihn immer mehr von Gott und seiner heiligen Gegenwart entfernen. Die Erfahrung wird dich ohne Zweifel belehren, dass nichts heilsamer ist, als unsere eigenen Anstrengungen aufzugeben; der Wirkung Gottes Raum zu lassen und uns ruhig zu verhalten, zumal in den Stunden unserer inneren Betrachtung. Denn stören wir durch eigenen Schaffen das Schaffen Gottes, so verhindert auch unser eigenen Leben gänzlich das Leben Gottes.
Niemand kann innerlich in Gott leben, der noch äußerlich an den Sinnen hängt, und sein Leben in Etwas außer Gott sucht, weil dies ganz entgegen gesetzte Stimmungen sind. Darum müssen wir trachten, unsere Sinne eingezogen, unsere Begierden ertötet, unsere Gedanken innig, unsere Gemütsaufregungen oder Leidenschaften unterdrückt, unseren Willen gelassen, unsern Verstand einfältig und unsere Absichten bei Allem recht zu erhalten. Indessen müssen wir bei dieser, wie bei jeder andern Übung, nicht auf uns oder unser Handeln achten, sondern allein auf Gott und sein Wohlgefallen. Alles was wir tun und leiden, darf nicht gezwungen geschehen, sondern freiwillig, mit Freuden, aus Liebe zu unserem Seelenfreunde, der uns so nahe ist, und mit inniger Hingebung zu ihm. Zwar wird es nicht an äußerem und innerem Kreuz auf diesem Wege fehlen; aber Alles wird zum Guten mitwirken. Und wie herrlich muß nicht das Leben sein, aus so vielen Ertötungen geboren. Eine Viertelstunde dieses Lebens ist gewiss  mehr wert, als ein ganzes Jahrhundert voll weltlicher Genüsse.
 Mein Lieber Bruder, Gott schenke Dir und mir feste Treue an die unschätzbare Gnade, durch die er uns auf diesen Weg geführt hat, auf dass wir uns nicht kümmern um alles Geschrei außer uns: Hier ist Christus, da ist Christus! - Nicht Christus  hier oder Christus da, sonder Christus in uns ist die Hoffnung der Herrlichkeit: so hätte es nach dem Grundtext müssen übersetzt werden (Kol. 1,27). Dies allein hilft und tröstet in Not und Tod. Denen, die auf diesem Wege trachten, mit Gott und der Ewigkeit vertraut zu werden, wird die Ewigkeit nicht so fremd und bang auf ihrem Totenbette vor Augen stehen.
Ich schreibe dieses, werter Bruder, nicht, um Dich zu belehren, sondern um meine Übereinstimmung mit Deinem Briefe zu bezeugen, und meine Herzensmeinung auszusprechen. Die Bibel ist voll dieses Weges, wenn man nur Augen zum Sehen hat. Viele heilige Männer ( und Frauen) haben es auch bezeugt, deren Schriften, wenn sie gut gebraucht werden, großen Nutzen stiften könnten. Der Herr sei selbst unser beständiger Führer und Hirte! Amen. In ihm und seiner Liebe grüße ich Dich von Herzen, und bleibe durch die Gnade

Dein Bundes-Bruder

 

 

 

 Brief Nr. 19,  Teil IV                 ....   vom Üben im stillen Gebet / 20150530

Herzlich geliebte Freundin und Schwester!

Dein Brieflein ist mir angenehm gewesen, sowohl wie dein Voriges; ich beantworte dieselben allezeit im Geist; wenn ich's aber mit der Feder nicht tue, daraus mußt du nimmer den Schluß ziehen, daß ich dich nicht lieben, oder deiner vergessen sollte. Nein, ich liebe dich im Herrn herzlich, und opfere dich in Schwachheit seiner Aufsicht und Gnadenregierung auf. Aber es geht mir auch, wie dir; ich hab' alle Hände voll Arbeit, und nicht viel Vermögen, muß'  auch die Augenblicke recht auskaufen.
Daß du noch das stille Gebet und die Einsamkeit mit Gott liebest, und die Zeit sorgfältig dazu auskaufest, ist mir herzlich lieb. Übe dich darin auf die Art und Weise, wie du von Zeit zu Zeit wirst können, es sei durch einige Worte, oder durch Herzensneigungen, durch ein Herzensoffenlegen, durch eine Tat der Anbetung oder Aufopferung, oder Liebesumfassung, oder Einkehr, oder stilles Warten, oder auf eine andere Weise, nachdem die Gnade dich beweget. Nur, daß alles bedachtsam, einfältig, und ohne zu starke Anstrengung geschehe. Der Grund aber von allem Gebet und von aller Frömmigkeit muß dieser sein:
daß uns Gott innigst gegenwärtig sei, in dem süßen Namen Jesu, um uns zu helfen und zu lieben.
Weil du auch nicht so viel Zeit zum einsamen Gebet haben kannst, als wohl zu wünschen wäre, so mußt du so viel treuer suchen, den soeben gemeldeten Grund der Gegenwart Gottes mitzunehmen in deinen Geschäften, verrichtend alle deine Sachen vor Gott und mit Gott, so daß du da aus deinem Herzen ein Betkämmerlein machest, und ebenso mit Gott suchest zu handeln unter deinem Werk, wie du sonst tun würdest, wenn du in der Einsamkeit wärest. Weil du so wenig Zeit und ein so schwaches Haupt hast, so rate ich dir viel Lesen nicht an. So ein Sprüchlein bisweilen aufschlagen, das geht wohl an. Lieben und Beten ist besser als Lesen.
Ich grüße dich herzlich in der Liebe Jesu, die dein Herz völlig einnehme!
Dein schwacher Mitbruder                                   den 1. Dez. 1756

 

 

Teil 3 Nr. 101 ..wundere Dich nicht lieber Bruder, dass Du Dich noch so entfernt von Gott und seinem Ziel                                             erkennst.../20150905

Kaum wollen es meine Umstände auch heute zulassen, daß ich dein Angenehmes Schreiben vom 29.ten mit ein paar Zeilen beantworte.
Mit Mitleiden vernehme deine noch anhaltende Leibesschwachheit und Leiden; sehe ich aber die heilige und liebenswürdige Absicht Gottes darunter an, dann muss ich alles mit stiller Anbetung unterschreiben. Das tue auch Deine Seele, lieber Bruder, und gehe nur mit geschlossenen Augen ein in diese Absichten Gottes über Dir, welche nicht anders als gut sein können (Röm.8,28 u. 29). Ja, sie sind so groß und vortrefflich, daß ein bißchen vorübergehendes Leiden wenig dagegen zu achten ist.  Ich sage, Deine Seele, d. i. dein innerer von Gott geschenkter Wille soll unterschreiben, denn es liegt wenig daran, wenn gleich im äußeren oder unteren Teil allerhand Widerstrebungen gefühlet werden. Auch dieses Gefühl gehört zum Leiden eines Christen, wodurch die Seele unvermerkt gedemütigt, arm und klein gemacht wird, unter allem widrigen Gefühl sich heimlich in die so nahe Gnade und Kraft ihres Erlösers ersenket, oder doch danach hungernd und darauf gelassen wartend, endlich von der Gnade völliger durchdrungen wird, und den Sieg erhält durch den, der sie von Innen belebet.

Dieses jetzt genannte Ersenken, Hungern, Warten etc. ist das eigentliche Werk des Glaubens, dem sich Gott endlich gewiß zur Überwindung schenket. Unterscheide also nur besser den inneren Menschen von dem Äußeren, und wandle mit Gott getrost fort! Die Natur wird ja wohl nie leiden wollen; sie muß sterben. Weg mit aller falschen Zärtlichkeit. Weil unsere Zeit kurz ist, so müssen wir geradezu wandeln, der Natur entgegen.

Wundere Dich nicht lieber Bruder, daß Du Dich noch so entfernt von Gott und seinem Ziel erkennst. wir sind weiter vom Ziel verirrt gewesen, als wir wußten.  Eben der Herr unser Gott ist es, der uns dieses sehen läßt, und ohne unser Wissen uns dergestalt immer näher führet. O ja, er ist uns unausprechlich nahe. Er sorgt wunderbar für uns! Er hat Dich und mich so viel Jahre bei unzähligen Weigerungen, gesuchet, und endlich uns selbst auch suchend gemacht, dass es wohl Schande ist, sich noch zu beklagen, wie du in dem Briefe tust, daß Dir Gott noch so unbekannt, unerachtet du ihn schon so lange gesucht habest. Gott ist es, wie ich sage, der uns suchen macht. Gott vergnügt sich in unserem Suchen. Wer Gott gefunden, der hat einen solchen Schatz gefunden, welchen tausend Jahre gesucht zu haben, einem nicht zu viel noch zu lange dünken wird. Nur redlich fortgefahren, und nicht so bald ermüdet! Man sucht durchgehends Gott lange, ohne ihn zu finden, und unvermutet läßt er sich finden ohne Suchen .

Das Singen des Abends mit deinem Bruder rate ich an, eben nicht abzubrechen, sondern unmaßgeblich erst ein wenig aus dem Neuen Testament oder einem andern Buche zu lesen, sodann ein Liedchen singen um sich danach alsbald zurückzuziehen, um in keine zerstreuenden Diskussionen zu geraten .
Seid alle von uns herzlich gegrüßt....

Mühlheim, den 8. Aug. 1748
 

 

 

 

Brief Nr. 85, Teil V         vier Eigenschaften der Liebe.......

vielgeliebte Freundin und werte Schwester!

Laß' uns recht treu bleiben dem Herrn, der uns bis zum Tode treu geblieben ist, und der sein kostbares Blut in der reinsten Liebe vergossen hat, und mit uns armen Kindern in der Zeit und in der Ewigkeit Gemeinschaft pflegen will.  Laß' uns Liebe mit Gegenliebe vergelten! Ich rede hier nicht von der gefühlvollen Liebe, welche die Sinnlichkeit rührt und in Bewegung setzt, sondern von der festen, herzlichen Liebe, die der Heilige Geist in den tiefsten Grund legt, und die bei allen äußeren Leiden und inneren Entblößungen  wesentlich bleiben kann.

 Ich rede von der Liebe der Unterwerfung, die uns ganz fähig macht, uns mit der Fülle unseres Willens der höchsten Treue hinzugeben, ihr ganz zu vertrauen, und in immerwährender Abhängigkeit von ihm und von der Führung seiner Gnade zu leben.
Ich rede von der Liebe der Hochachtung, die uns immer mehr die Schatten aller sichtbaren Dinge und auch uns selbst in jeder Hinsicht verlieren und vergessen macht, um nur die Alles würde Majestät im Glauben zu beschauen, zu schätzen, zu erheben und anzubeten, mit fortwährender Unterwerfung von Allem, was in uns ist, ohne viel auf uns selbst zu sehen.
Ich rede von der Liebe der Zuneigung, die unser Herz von Allem losreißt, um es fest an Gott zu binden, die uns Allem entsagen macht, was wir außer und neben Gott geliebt haben, um alle unsere so sehr verteilten Liebeskräfte und Neigungen diesem höchsten und allein liebenswürdigen Gegenstande ganz zu weihen, zu geben und in ihm ruhen zu lassen in der innigsten Abgeschiedenheit von allem Andern.
Ich rede von der Liebe der Gemeinsamkeit, die uns in der Gegenwart unseres guten Gottes wandeln lässt, gleich als ob wir mit ihm allein in der Welt wären, die uns auch heimlich unter andern Arbeiten mit Gott beschäftigt hält, und uns auch in den nicht zu vermeidenden Gesellschaften, in der Gesellschaft unseres Herzensfreundes erhält, ja, die uns führt zu der Liebe der Gemeinschaft und gründlichen Vereinigung, in der wir, dem Herrn so anklebend, endlich ein Geist mit ihm werden, wie der Apostel sagt (Röm. 8,16).

O, wie viel große Dinge sind noch in dieser Zeit zu erreichen, wenn wir nur mehr losließen und wie wahre Herzenskinder bei dem Herrn und seiner Leitung in unserem Herzen blieben. Doch dieses weißt Du besser als ich, darum will ich abbrechen. Was ich schreibe, kommt mir unwillkürlich in die Feder; ich wollte nur mit einem kurzen Wunsche endigen. Ich grüße Dich nochmals und trage Dich dem Herrn auf, durch dessen Gnade ich bleibe, meine in der Gnade sehr geliebte Freundin,

Dein ergebener Bruder.                                             Mühlheim, den 21. September 1736

 

 

Teil III  Nr. 136  über Erfahrungen in der Ausübung des Gebets und Einkehr

In der Gnade Jesu wertgeschätzter Bruder!

Ob wir gleich schriftlich wenig korrespondieren, kann ich doch in Einfalt vor Gott sagen, daß ich dich liebe, und mich im Geist mir dir vereiniget finde, auch daß mir dein letztes Schreiben vom 17. Januar angenehm gewesen. Ich merke zwar wohl, daß du dir eine zu schöne Idee von mir machst; allein so ist es er Liebe Art, und ich wünsche mir’s  zu nutz zu machen. Deine Gemütsbeschaffenheit, wovon du mir ein und anders brüderlich eröffnest, habe ich gesucht und werde ich suchen, dem Herrn in meinem Gebet  darzubringen, nach der Gnade, die ich von ihm selbst erwarte.
Daß die Beharrlichkeit in der Übung des Gebets und der Einkehr von solcher Wichtigkeit sei, kann uns, nächst der Erfahrung, bloß des Versuchers List und Bemühung, um davon abzulocken und darin träge zu machen, sattsam lehren. Er weiß, daß duch diese selige Übung allein sein finsteres Reich in der Seele notwendig zerstört wird, durch den unvermerkten Einfluß des Lichts, der Liebe und des Lebens Jesu; und daß alle Blumen und Früchte der schönsten Gnaden und Tugenden bald von selbst verwelken, wenn er sie nur von dieser ihrer Wurzel abbrechen kann. Jesus allein ist Mittler und Kanal, wodurch das göttliche Leben und Kräfte in unsere aus der Art geschlagene und zum Guten erstorbene Menschheit wieder eingeflößt werden müssen.
Durch die Übung des Herzensgebetes * (in welchem Glaube, Liebe, Hoffnung etc sich konzentrieren) werden und bleiben wir mit ihm vereinigt, und in ihm gewurzelt; da der Hunger, Liebesbegierde und innige Zuneigung gleichsam unsere Wurzeln sind, wodurch wir aus Jesu unvermerkt Saft und Kraft empfangen, ob man es gleich nicht allemal so deutlich sehen und fühlen kann, wie das zugeht, und ob das geschieht? O lasset uns beten, und uns zur Herzenseinkehr schicken! Das gebrechliche Gebet ist heilsamer, als die beste Zerstreuung. Viel scheinbares Gut läßt uns der Feind machen; ja er treibt noch wohl dazu, nur daß wir das Gebet unterlassen.

Ich werde durch des lieben Bruders Schreiben nur darin befestigt, was mir meine eigene Erfahrung, und die Erfahrung bei andere vielfältig gelehrt hat: wie nämlich der Versucher sonderlich die Zeit der Entblößung, Dürre und Dunkelheit in Acht nimmt, die Seele von der unverrückten Übung des Gebets, und mithin von ihrer Kraft abzubringen; da dieses doch eben die Zeiten sind, da wir zu dem größten Fortgang und Ausgang aus uns selbst könnten bereitet werden, wenn wir nur bei dem Herrn aushalten, und uns nach ihm zu fügen wüßten. Ich will damit sagen: daß, wenn wir auf die sonst gewohnte Art mit der Gebetsübng nicht fort kommen könnten, wir dann auch nicht mit steifem Eigenwillen und Anstrengung fest hielten, was der Herr uns zu entnehmen beliebt, sondern uns schmiegten, in unsere Nacktheit und Armut ruhig einwilligten, unseren Geschmack, Licht und Vergnügen seinem Vergnügen und Wohlgefallen aufopferten, und dieses sein Wohlgefallen unser Gebet und unsere Speise sein ließen. Siehe, da würden wir von einem solchen Loslassen, Entblößen und gleichsam Verlieren mit der Zeit den Gewinn erfahren, und zu einer tieferen, oder besser gesagt, reineren Einkehr, Gebetsart und Vereinigung mit Gott fähig gemacht werden; welches eben die Absicht Gottes ist.

Das ist aber unser Elend und unsere Schwachheit, daß wir so sehr mit der Eigenliebe durchdrungen sind, und uns selbst suchen, eben indem wir meinen, Gott zu suchen. Finden wir dann für uns selbst nichts, kein Licht, Geschmack, oder sonst was Angenehmes, da bilden wir uns ein, wir könnten Gott nicht finden, werden müde und mutlos, und suchen wohl gar für dieses Selbst Nahrung in anderen Dingen, da sie uns in Gott und dem Guten nicht mehr so vergönnt wird. Ach, mein Gott! Wie so höchst ungeziemend ist dieser Sinn einem Herzen, das sich deinem reinen Dienst und deiner Liebe gewidmet hat! Zerstöre diesen Grund der Eigenliebe, daß wir in deinem Dienst nicht uns, sondern wahrlich dich suchen, nicht unser Vergnügen, sondern dein Vergnügen: denn du bist unser Ende, und in dir, nicht in uns, ist alle unsere Seligkeit. Amen!

Ehe der Pfingsttag gekommen war, konnten die lieben Jünger ohne die leibliche sichtbare Gegenwart Jesu nicht lang in der Stille aushalten. Ich gehe hinaus fischen, sagte Petrus. Die Zeit fiel ihnen lang in der Einsamkeit. So geht’s auch uns. Man geht hinaus fischen in einem Buch, bei einem Menschen etc. und es ist Gnade, wenn man
 in solcher Nacht nirgend was fangen kann, und der Heiland einem noch begegnet, und, wie den lieben Jüngern, die Fruchtlosigkeit alles eigenen Gesuches zeiget. Mit Furcht, mit Scham, mit tiefer Erkenntlichkeit der göttlichen Langmut und Güte erinnere ich mich dessen, was mich die eigene Erfahrung in diesem Stück wohl gelehret hat: daß nämlich die Versäumnis der Gebetsübung so wichtig, und daß man zur Zeit der inneren Dunkelheit und Dürre so leicht in diese Versuchung geraten kann. Man merkt den Schaden so bald nicht; allgemach aber kommt man weiter und wohl bisweilen so weit von der Spur ab, daß man kaum Mut hat, je wieder zurecht zu kommen. Eine Seele ohne Gebetsübung ist wie ein einzelnes Schäflein ohne Hirten. Der Versucher weiß solches: er bedient sich der dunklen und bloßen Gemütszustände, daß er die Seele von ihrem Hirten entferne; da spannt er sein Netz listig auf, bringt das Gemüt in Zweifel und Verwirrung, stellt ihm dieses oder jenes Scheinbare vor, treibt es zu mancherlei Veränderung an, es soll‘s mit dieser Übung, mit dem und dem Stand, an diesem und jenem Ort, bei einem scheinbaren Haufen oder Sekte einmal versuchen. Dadurch sind in diesen und vorigen Zeiten so manche redliche Seelen bei dunkler Nacht betrogen worden; zu unserer Warnung, daß wir im Dunkeln und Dürren nicht leicht einige Veränderungen vornehmen, sondern da bleiben müssen, wo wir sind.

Laßt uns nur in Jesu Namen immer wieder Mut fassen, daselbst wieder anfangen, wo wir aufgehört, und uns genau so wieder betragen, wie wir vor der Abweichung getan haben. Die wunderbare Güte unseres Gottes bedient sich aller Dinge, auch unserer Fehler und Sünden, zu unserem Besten: (angebeten sei seine Weisheit!)
Rückblickend müssen wir uns auch diese bestmöglich zu Nutze machen, und einen guten Vorsatz der gründlichen Selbstverschmähung davon auflegen; ob wir gleich keineswegs unser Böses damit zu beschönigen, sondern mit allem Fleiß zu vermeiden haben (Röm. 6,12). Unser Nichts, im Licht erkannt, wirkt Demut, auf welche wir bisweilen ein wenig hochmütig werden. Unser Nichts aber, durch die Erfahrung erkannt, läßt der Eigenliebe keinen Schlupfwinkel übrig; man muß bloß da stehen, und seine Schande bekennen. Viele Menschen reden von Verleugnung der eigenen Gerechtigkeit, die noch wohl wenig oder keine Gerechtigkeit haben: aber bei treugesinnten Seelen schleicht dieses Gift am ersten mit ein, daß man in seine Treue und Verleugnungen, in seine Tugenden und Gnaden, in seine Gebetsübungen unvermerkt seine Gerechtigkeit und sein Vertrauen setzt, und nicht so bloß in Gott allein; und da kann dann von hinten nach der liebe Heiland mit unserem Kot uns die Augen öffnen, wovon aber seine Wunderhand allein die Ehre, und wir die Schande haben. Die Erfahrung unserer Schwachheiten, Elenden und unseres allgemeinen Nichts muß uns nicht kleinmütig machen, sondern Anlaß geben, uns auszuleeren von uns selbst, uns selbst zu verlassen, uns so viel nackter, und also auch so viel wesentlicher in Gott zu kehren, damit er uns mit sich selbst fülle, und alles das in uns werde, was wir selbst nicht haben oder leisten können. Und bis dahin will uns Gott haben, damit kein Fleisch sich rühme vor seinem Angesicht, sonder Jehova allein unsere Gerechtigkeit und unser Ruhm sei. Siehe, lieber Bruder! So würde die Nacktheit, Ausleerung und Loslassung, wozu die Erfahrung unserer Elenden (Elends) uns Anlaß geben, uns rückblickend der edelsten Gebetsart und Vereinigung mit Gott fähig machen. Gelobt sei die wunderbare und unendliche Menschenfreundlichkeit unseres Gottes in Christo Jesu!

Weil ich im Schreiben immer gehindert, und durch Besuche und Geschäfte immer auf was anderes geführt werde, so mag dir mein Schreiben wohl was unordentlich und undeutlich vorkommen. Ich habe nur meine einfältige Liebe und die Vereinigung mit dem, was dich die Salbung selber lehrt, zeigen wollen. Laßt uns, lieber Bruder, fortfahren, bei diesem allein unfehlbaren Lehrmeister der Wahrheit zur Schule zu  gehen und immer mehr recht kleine Herzenskinder werden!
O ja, es ist die Wahrheit, was uns die Salbung lehrt; und es ist keine andere Wahrheit als diese. Ich grüße und küsse dich im Geist der Liebe. Bedenke meiner vor Gott, wenn dir’s gegeben wir, ich begehre durch Gott ein Gleiches zu tun.
Grüße von mir herzlich die lieben Mitglieder in N. Ich schicke ihnen öfters einen innigen Segenswunsch zu. Jesus erwärme und belebe ihre und unsere Herzen mit seiner süßen Liebe! Amen! Ich bin und bleibe schwächlich, daß wenig zu schreiben im Stande bin: auch diese Schwachheit heißt mich abbrechen. Durch die Gnade bleibe ich Dein    treu verbundener schwacher Mitbruder.
Mühlheim, den 12. März 1750.

*Übung des Herzensgebet: s. a. Hansgünter Ludewig,  "Die Widerbelebung des Herzensgebetes bei Gerhard Tersteegen" .

 

 

 

Brief Nr. 145 Teil III : über Ablenkungen von Gottes Gegenwart

Mein lieber Bruder!
Ich danke Dir noch herzlich für deinen brüderlichen Geburtstagswunsch, und dem Herrn, für alle die Jahre, und die in diesen Jahren unverdient erwiesenen Barmherzigkeiten. Ihm sei ferner mein bisschen übrig bleibendes Leben und Lebenskraft zu seinem Dienst und zur Vollendung seines Werkes aufgeopfert, wofür ich mir auch Deine Fürbitte erbete. Wollte Gott, daß ich das verborgene Leben in Gott mehr mit einem wichtigen Vorbild angepriesen hätte. Daß ich es mit Mund und Feder so ein wenig getan habe, ist mir zwar nie leid geworden, ich schätze aber den selig, der nur Gott allein bekannt, sein Ganzes darauf verwendet, beim alltägigen Sterben und Beten , diesen Schatz in immer reinerem Genusse  zu erfahren. O, wie ist der "Tausendkünstler" so geschäftig, uns im Reich der Sinnen, Phantasie und Vernunft verwickelt und besetzt zu halten, damit wir dieses Herzensleben in Gott und mit Gott, und die in demselben liegenden Realitäten und Kräfte jener Welt nicht recht erblicken und schmecken mögen.
Wir wollen dann, lieber Bruder, aufs neue mit Gott, Kinder werden, zum Herzen eilen, und alles vergessen, was dahinten ist, auch alle unsere Kunst. Ich weiß zwar wenig, könnte ich aber diese verstrichenen Jahre wieder anfangen, ich wollte in tausend Dingen unwissend bleiben, die ich nun weiß. Ich wollte auch nicht so viel Blutsauger anlegen, ich meine, allerhand, nicht zur geraden Herzensache dienlichen Bücher lesen, die, anstatt zu ermuntern, nur die Kraft nehmen. Die Gnade allein macht das Herz fest, und die Salbung weise. Sterben und Beten ist die unumgängliche Disposition dazu. O, Macari und deines gleichen Streiter, wie selig und wie klug habt ihr eure Jahre und Kräfte angewandt (Makarius der Ägypter, ca 370-430 n.Chr.).
Gedenke meiner, lieber Bruder, wir grüßen alle.     2. Dez. 1750.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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© Siegfried Martin